Donnerstag, 24. April 2014

Finanzamt muss mitdenken

Übersieht das Finanzamt offensichtliche Fehler in der Steuererklärung von Selbstständigen, müssen Steuerbescheide nachträglich korrigiert werden, auch wenn sie längst bestandskräftig geworden sind. Im konkreten Fall hatte ein Selbstständiger vergessen, Umsatzsteuerzahlungen als Betriebsausgabe anzugeben. Da er gleichzeitig eine Umsatzsteuererklärung eingereicht hatte, hätte der Finanzbeamte das erkennen und darauf hinweisen müssen.
[Quelle: mediafon, 1.3.14]

—-- c4harry

Mittwoch, 9. April 2014

Frauen in Europas Chefetagen

Auswertung des WSI-GenderDatenportals



Frauen in Europas Chefetagen nur kleine Minderheit - Norwegen mit gesetzlicher Frauenquote weit vorn



In der Europäischen Union sind Frauen in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen noch immer deutlich in der Minderheit. 2012 waren EU-weit nur etwa 16 Prozent aller Mitglieder in den boards of directors in Börsenunternehmen weiblich. Der Begriff boards of directors bezeichnet das jeweils höchste Entscheidungsgremium eines Börsenunternehmens. In der EU gilt teilweise das dualistische (etwa in Deutschland) und teilweise das monistische System (etwa in Großbritannien). Das heißt, das höchste Entscheidungsgremium teilt sich entweder in Vorstand und Aufsichtsrat oder es handelt sich um ein gemeinsames Direktorium.



Deutschland lag 2012 im europäischen Vergleich mit einem Frauenanteil von rund 18 Prozent in den Aufsichtsräten als höchsten Unternehmensgremien leicht über dem Durchschnitt, aber deutlich hinter der europäischen Spitzengruppe. Aus verschiedenen Studien ist bekannt, dass Frauen in den Aufsichtsräten mitbestimmter börsennotierter deutscher Unternehmen mehrheitlich Arbeitnehmervertreterinnen sind.



Den höchsten Frauenanteil in den boards of directors weisen die Nicht-EU-Länder Norwegen und Island auf. Norwegen kommt mit einem Frauenanteil von 44 Prozent als einziges Land beinahe einer Geschlechterparität nahe, zeigen Daten der EU-Kommission, die Forscher/innen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und des Berliner Instituts SowiTra aufbereitet haben. Dies kann nach Einschätzung von WSI-Expertin Dr. Christina Klenner auf die gesetzliche Frauenquote für börsennotierte Unternehmen in Norwegen zurückgeführt werden.



Auch die EU-Staaten mit dem höchsten Frauenanteil in Unternehmensführungen finden sich überwiegend in Nordeuropa (siehe auch die 1. Grafik in der pdf-Version dieser PM; Link unten): Finnland (29 Prozent), Lettland (28) und Schweden (26 Prozent). Alle Daten und Analysen zum Thema finden sich im GenderDatenPortal des WSI (http://www.boeckler.de/wsi_45988.htm).



Noch extremer ist die Männerdominanz bei den Vorsitzenden der höchsten Entscheidungsgremien. In 15 von damals 27 EU-Mitgliedsstaaten gab es 2012 keine einzige Frau unter den presidents der größten börsennotierten Unternehmen. Bei den presidents handelt es sich um einen Oberbegriff für alle Vorsitzenden der höchsten Entscheidungsgremien eines Börsenunternehmens, die entweder chairperson of the board (im monistischen System) sind oder chairperson of the supervisory board (Aufsichtsratsvorsitzende im dualistischen System). Auch in Deutschland liegt der Frauenanteil mit lediglich drei Prozent unter den presidents der größten börsennotierten Unternehmen extrem niedrig.



Pressemitteilung mit Grafiken (pdf): http://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2014_04_09.pdf



Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung



Dr. Christina Klenner


WSI-Expertin für Genderforschung


Tel.: 0211-7778-231


E-Mail: Christina-Klenner@boeckler.de





—-- c4harry, Quelle:

Montag, 24. März 2014

Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2014

Service des WSI-Tarifarchivs

Neu: Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2014

Wie hoch war die durchschnittliche Tarifsteigerung im Jahr 2013? Wo gibt es welche Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz? Wie viel tarifliches Urlaubsgeld gibt es in der Metallindustrie? Wie hoch ist die Jahressonderzahlung im Versicherungsgewerbe? Wie sind die tariflichen Kündigungsfristen im Einzelhandel? Wie hoch sind die Schichtzuschläge in der chemischen Industrie? Was wird im Hotel- und Gaststättengewerbe gezahlt? Wie viel Ausbildungsvergütung gibt es im Bauhauptgewerbe? Wie hoch ist die Tarifbindung in West- und Ostdeutschland? Wie ist die Streikhäufigkeit im internationalen Vergleich?

Antworten auf diese und zahlreiche andere Fragen rund um die Tarifpolitik gibt das gerade erschienene Statistische Taschenbuch Tarifpolitik 2014 des WSI-Tarifarchivs. Es bietet im handlichen Format (DIN A6) eine umfangreiche Zusammenstellung von Daten und Fakten zur Tariflandschaft und zur Tarifpolitik in Deutschland. In rund 130 Tabellen, Übersichten und Schaubildern werden Informationen zu folgenden Schwerpunktthemen aufbereitet:

- Tarifvertragslandschaft

- Lohn und Gehalt

- Arbeitszeit

- Tarifbewegungen und Arbeitskämpfe

- Tarifregelungen in 50 Branchen und Tarifbereichen

Das Statistische Taschenbuch Tarifpolitik 2014 ist kostenlos zu bestellen bei:

Setzkasten GmbH, Kreuzbergstraße 56
40489 Düsseldorf
mail@setzkasten.de

Bitte verwenden Sie die Bestell-Nr.: 30424.

Das Statistische Taschenbuch zur Tarifpolitik 2014 ergänzt das Internetangebot des WSI-Tarifarchivs unter www.tarifvertrag.de. Das gesamte Taschenbuch kann dort auch als PDF-Datei heruntergeladen werden. Zusätzlich können über die Website auch die einzelnen Tabellen und Übersichten im Format DIN A4 abgerufen werden.



—-- Artikel wurde auf meinem iPad erstellt

Montag, 10. März 2014

Behinderung von Betriebsratswahlen: Nicht nur Einzelfälle

Unternehmer oder Manager, die Betriebsratswahlen behindern, machen sich strafbar. "Dennoch häufen sich in den letzten Jahren zunehmend Berichte, dass genau dies geschieht", schreiben Dr. Martin Behrens und Dr. Heiner Dribbusch in einer neuen Analyse. Wissenschaftliche Befunde lägen jedoch kaum vor. Deshalb haben die beiden Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung zu klären versucht, welches Ausmaß diese Aktivitäten inzwischen haben. In Kooperation mit den Gewerkschaften IG Metall, IG BCE und NGG sowie dem Fachbereich Handel von ver.di befragten Dribbusch und Behrens 184 der zuständigen hauptamtlichen Gewerkschafter aus den Bezirken, Regionen und Verwaltungsstellen; diese haben in der Regel einen guten Überblick über die Arbeitsbeziehungen vor Ort. Repräsentativ sind die Ergebnisse nicht, doch erlauben sie aus Sicht der Forscher eine Trendaussage: Versuche, neue Betriebsräte zu verhindern seien "bislang kein stilbildendes Merkmal der deutschen Arbeitsbeziehungen", aber "deutlich mehr als eine Fußnote".

Überdurchschnittlich häufig kämen Behinderungen in inhabergeführten Unternehmen vor, schreiben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der WSI-Mitteilungen.* Erste stichprobenartige Nachfragen deuteten darauf hin, dass die Zahl der Fälle dort ansteige, wo sich Gewerkschaften aktiv um die Gründung neuer Betriebsräte bemühen, fassen die Wissenschaftler zusammen.

Insgesamt 59 Prozent der 184 Befragten sind Fälle bekannt, in denen Unternehmer versucht haben, die Gründung einer Arbeitnehmervertretung zu verhindern. Die lokalen Experten, denen Behinderungen bekannt waren, berichteten im Mittel von jeweils gut zwei Fällen, in denen Arbeitgeber gegen die Wahlen Front machten. Jeder dritte der Versuche war aus Sicht des Managements erfolgreich; die Betriebsratswahl wurde vereitelt. Am häufigsten erlebten die Befragten aus der Handelsbranche Wahlbehinderungen: Hier nannten 66 Prozent mindestens einen Fall.

Besonders häufig seien Versuche, Kandidaten für die Betriebsratswahl einzuschüchtern, stellen die Forscher fest. Gerade in kleinen und mittelgroßen Betrieben, in denen der Kontakt zwischen Eigentümer, Management und Beschäftigten oft eng sei, ließen sich Kandidaten leicht unter Druck setzen. Im Durchschnitt beobachteten diese Taktik 73 Prozent der Befragten in jenen Betrieben, in denen die Wahl behindert wurde, im Fachbereich Handel von ver.di sogar 86 Prozent. 43 Prozent der Befragten, die Wahlbehinderungen beobachtet hatten, berichteten, der Unternehmer habe versucht, die Bestellung eines Wahlvorstandes zu verhindern. 24 Prozent der lokalen Experten hatten erlebt, dass Kandidaten für den Betriebsrat gekündigt wurde. 16 Prozent berichteten von Fällen, in denen Beschäftigten vom Arbeitgeber Vorteile für den Fall versprochen wurden, dass sie ihre Kandidatur zurückziehen (siehe auch die Grafik in Böckler Impuls 4/2014; Link unten).

Obwohl Arbeitgeber sich von ihren Verbänden in arbeitsrechtlichen Fragen beraten lassen könnten, ziehen viele im Konfliktfall Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen hinzu, fanden die Forscher heraus. In 43 Prozent der beobachteten Fälle von Behinderung waren sich die befragten Gewerkschafter sicher, dass eine dritte Partei im Spiel war, in weiteren 38 Prozent konnten sie dies nicht zuverlässig einschätzen. Lediglich ein Fünftel der Konflikte lief ausschließlich zwischen dem Unternehmen und seinen Beschäftigten ab.

Einige Kanzleien sind für ihre Unterstützung bei der Verhinderung von Betriebsräten bekannt. Die meisten Unternehmen wenden sich aber eher an ihren Hausanwalt. So oder so: Schalten sie Externe ein, greifen sie häufiger zu drei oder mehr Maßnahmen zur Wahlbehinderung. 43 Prozent der Befragten berichteten von solch massiver Obstruktion.

Über die Grenzen gewerkschaftlicher Organisationsbereiche hinweg fanden Dribbusch und Behrens eine mitbestimmungsfeindliche Stimmung hauptsächlich in inhabergeführten Unternehmen sowie in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten: "In diesem Teil der deutschen Wirtschaft scheinen der ,Herr-im-Haus'-Standpunkt und eine geringe Bereitschaft, die betriebliche Entscheidungsgewalt zu teilen, besonders weit verbreitet zu sein." Wenn es die Arbeitnehmervertretung erst einmal gibt, lasse der Widerstand allerdings nach. Zumeist scheine sich das Management dann "mit der Existenz des Betriebsrates abgefunden zu haben".

*Martin Behrens, Heiner Dribbusch: Arbeitgebermaßnahmen gegen Betriebsräte: Angriffe auf die betriebliche Mitbestimmung, in: WSI-Mitteilungen 2/2014. Download: http://media.boeckler.de/Sites/A/Online-Archiv/13013

Weitere Informationen und Infografik zum Download im Böckler Impuls 4/2014: http://www.boeckler.de/46062_46070.htm

Mehr Informationen zur Betrieblichen Mitbestimmung: http://www.boeckler.de/21.htm

Informationsangebot zur Betriebsratswahl: http://www.boeckler.de/43842.htm


—-- c4harry

Dienstag, 4. Februar 2014

EDEKA: Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung

Qualitatives Forschungsprojekt lotet Möglichkeiten bei der Übergabe von EDEKA-Filialen aus

Die genossenschaftlich organisierte Handelsgruppe EDEKA hat seit 2003 knapp 1.200 ihrer Geschäfte mit rund 50.000 Beschäftigten "privatisiert". Dabei werden so genannte "Regiemärkte", die bis dahin von den EDEKA-Regionalgesellschaften selbst betrieben wurden, an selbständige Kaufleute abgegeben. Meist sind es bereits in der Region aktive selbständige EDEKA-Kaufleute oder die zuvor angestellten Filialleiter, die mit Unterstützung der Regionalgesellschaft solche Märkte erwerben. Die Geschäfte sind rechtlich selbständig, beim Warenbezug, durch Mietverhältnisse und bei der Werbung aber weiterhin eng an die EDEKA angebunden.

Beschäftigte von betroffenen EDEKA-Märkten und Arbeitnehmervertreter berichten immer wieder über deutliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen nach der Privatisierung. Oft scherten die neuen Eigentümer nach einer Übergangsphase aus dem Tarifvertrag aus, die Arbeit verdichte sich deutlich. Zudem verlieren die Beschäftigten meist ihre betriebliche Vertretung, weil bei der EDEKA Betriebsräte vor allem auf der Ebene der Regionalgesellschaften angesiedelt sind. In den einzelnen Märkten gibt es nur selten Betriebsräte.

Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung des Berliner Handelsexperten Dr. Bert Warich aus dem Jahr 2011 hat ergeben, dass solche Probleme keineswegs nur in Einzelfällen auftreten. Im selbständigen Einzelhandel der EDEKA liege der Anteil der Super- und Verbrauchermärkte mit Betriebsrat bei etwa einem Prozent, vielfach komme es durch Tarifflucht der selbständigen Kaufleute zu Lohndumping, konstatierte der Forscher. Das liege auch daran, dass zahlreiche Eigentümer Betriebsräte ablehnten und im Extremfall die Gründung von betrieblichen Vertretungen behindert würde.

Eine zweite, wiederum von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung nähert sich dem selbständigen Einzelhandel der EDEKA nun aus einer anderen Perspektive. Forscher Warich hat sechs Märkte, die in Kooperation mit zwei Regionalgesellschaften ausgewählt wurden, über 18 Monate nach der Übertragung an neue Eigentümer begleitet. Dabei geht es nicht um einen repräsentativen Überblick über das aktuelle Privatisierungsgeschehen. Der wäre gar nicht möglich, weil die Fallzahl viel zu gering und das Auswahlverfahren nicht verzerrungsfrei ist. So zeichnen sich fünf der sechs untersuchten Märkte beispielsweise dadurch aus, dass sie einen Betriebsrat haben und, untypisch für Privatisierungen, weiterhin in der Tarifbindung bleiben. Ziel des Projekts ist vielmehr zu erforschen, ob und unter welchen Umständen der Übergang ohne Verschlechterung der Arbeitsbedingungen möglich ist. Das Projekt befindet sich kurz vor dem Abschluss. Seine Ergebnisse werden voraussichtlich Anfang März veröffentlicht.

Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Stefan Lücking
Abteilung Forschungsförderung
Tel.: 0211-7778-175
E-Mail: Stefan-Luecking@boeckler.de




—-- c4harry

Freitag, 24. Januar 2014

Rechtswissenschaftler analysiert Klage der Bundesdruckerei

Rechtsgutachten: Tariftreue-Gesetz in NRW mit Europarecht vereinbar

Das nordrhein-westfälische Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG NRW) ist europarechtskonform. Zu diesem Ergebnis kommt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Däubler in einem Gutachten, welches das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hat. Anlass für die Expertise war eine Klage der bundeseigenen Bundesdruckerei gegen das TVgG NRW. Die Bundesdruckerei hatte sich um einen Auftrag der Stadt Dortmund zur Aktendigitalisierung beworben, bestand jedoch darauf, dass ihre polnische Tochter INCO Spolka nicht den im NRW-Gesetz verankerten Mindestlohn in Höhe von 8,62 Euro pro Stunde bezahlen müsse. Eine solche Vorgabe verstoße gegen das Unionsrecht; der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss entscheiden, ob dies wirklich der Fall ist.

In dem Gutachten führt der Juraprofessor Däubler gleich mehrere Gründe an, weshalb die Auffassung der Bundesdruckerei keine Aussicht auf Erfolg hat. Neben prozessualen Bedenken, die gegen die Einschaltung des EuGH sprechen, ist das Gesetz nach seiner Analyse auch inhaltlich mit dem Unionsrecht vereinbar: Weder die Entsenderichtlinie noch die Dienstleistungsfreiheit sind verletzt. Darüber hinaus macht Däubler deutlich, dass auch das Übereinkommen Nr. 94 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO Regelungen wie die im TVgG NRW ausdrücklich legitimiere.

Die Entsenderichtlinie stand bereits bei früheren Verfahren vor dem EuGH im Mittelpunkt. So entschied der Gerichtshof im Jahr 2008, dass das damalige niedersächsische Tariftreuegesetz nicht europarechtskonform sei. In dem so genannten "Rüffert-Urteil" ging es allerdings nicht um einen vergabespezifischen Mindestlohn, sondern ganz generell um die Einhaltung von Tarifverträgen. Gesetzliche Mindestlöhne deckt dagegen die Entsenderichtlinie ausdrücklich ab, so das Gutachten. Die gelegentlich vorgebrachte Kritik, dass es sich lediglich um einen "Partikularschutz" für Arbeitnehmer handle, die öffentliche Aufträge ausführen, ist für Däubler nicht überzeugend. Sie nehme nicht zur Kenntnis, dass die vom Unionsrecht ausdrücklich zugelassenen sozialpolitischen und umweltbezogenen Vorgaben immer nur diejenigen betreffen, die mit der Ausführung des vergebenen Auftrags betraut sind. Auch sind Branchenmindestlöhne in der Entsenderichtlinie erlaubt. Ein flächendeckender Mindestlohn werde dort nicht gefordert, so der Rechtswissenschaftler.

Das Gutachten leuchtet den europarechtlichen Hintergrund aber noch weiter aus. Eine hundertprozentige Tochter könne sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie - wie hier - nach dem Willen der inländischen Alleineigentümerin handle. Selbst wenn man dies anders sehe, gelte die Dienstleistungsfreiheit nicht schrankenlos. Sie könne aus "zwingenden Gründen des Allgemeinwohls" beschränkt werden, wozu nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Wahrung von Arbeitnehmerinteressen gehöre.

Darüber hinaus, argumentiert das Gutachten, müsse der EuGH auch die föderale Regelungsstruktur der Bundesrepublik berücksichtigen. Ausdrücklich sehe das EU-Recht die Achtung der internen Regelungsmechanismen der Mitgliedstaaten vor (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV). Somit müsse beachtet werden, dass sich gerade auch Gründe des Allgemeininteresses wie der Arbeitnehmerschutz in föderalen Systemen schrittweise entwickeln könnten. So könne zunächst nur ein Bereich erfasst sein, beispielsweise die öffentliche Vergabe in einem Bundesland, und diese dann als "Vorbild" für andere Bereiche fungieren, die "nachziehen" könnten. Partielle Schutznormen auszuschließen, würde einen solchen Prozess unmöglich machen und somit ohne Not in die demokratische Gesetzgebung eingreifen, so Däubler. Das in den Verträgen von Lissabon verstärkte soziale Element bliebe unberücksichtigt. Ein vergabespezifischer Mindestlohns sei auch "verhältnismäßig", weil er von allen denkbaren Alternativen am wenigsten in die Dienstleistungsfreiheit eingreife, betont der Jurist.

Schließlich verweist Däubler noch auf das ILO-Übereinkommen Nr. 94. Es sieht explizit Lohnvorgaben bei öffentlichen Aufträgen vor und ist von zehn EU-Mitgliedstaaten ratifiziert worden. ILO-Übereinkommen seien nach der Rechtsprechung Anhaltspunkte für allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, argumentiert das Gutachten. Sie würden nach allgemeiner Auffassung das Unionsrecht ergänzen, weil dieses aufgrund seiner Entstehungsgeschichte notwendigerweise lückenhaft sei. Ein solcher Rechtsgrundsatz sei bereits dann gegeben, wenn ein ILO-Übereinkommen von der Arbeitskonferenz der ILO (in der alle EU-Mitgliedstaaten vertreten sind) beschlossen wurde, auch wenn nicht alle Mitgliedstaaten der EU das Übereinkommen ratifiziert hätten.

ILO-Übereinkommen wurden nach Däublers Analyse bereits in anderen Rechtsfällen (u. a. Viking und Laval) als Mittel zur Auslegung des Unionsrechts herangezogen. Allerdings habe sich die Rechtsprechung bislang gescheut, einen allgemeinen Rechtsgrundsatz allein unter Rückgriff auf ILO-Übereinkommen anzunehmen. Wichtig könne jedoch sein, dass es in vielen Mitgliedstaaten eine Praxis gebe, die dem Übereinkommen entspreche. So hat beispielsweise das italienische Recht den Wortlaut des ILO-Übereinkommens Nr. 94 fast wörtlich übernommen und sogar auf Unternehmen erstreckt, die eine staatliche Subvention erhalten haben.

Einen Widerspruch des TVgG NRW zu Unionsrecht ist Däubler zufolge also nicht zu erkennen. Zudem könne aus dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 ein allgemeiner Rechtsgrundsatz hergeleitet werden, der gerade solche Regelungen wie in NRW zulasse.

Das Gutachten zum Download: www.boeckler.de/pdf/wsi_ta_rechtsgutachten_daeubler_2014.pdf

Forschungsergebnisse des WSI zum Thema Tariftreue: http://www.boeckler.de/index_tariftreue.htm

Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Thorsten Schulten
WSI-Experte für Tariftreue
Tel.: 0211-7778-239
E-Mail: Thorsten-Schulten@boeckler.de

Nils Böhlke
WSI
Tel.: 0211-7778-343
E-Mail: Nils-Boehlke@boeckler.de




—-- c4harry